Michael Raab: Spülen zu dritt

„Aus der Aussage »Ich liebe Dich« lässt sich nicht schlussfolgern, wer den Abwasch erledigt. Aus Statistiken schon: Nach einer Zeitverwendungsstudie des Statistischen Bundesamtes (2015) kümmern sich Frauen durchschnittlich fast 27 Stunden pro Woche um Haushalt und Familie, zehn Stunden mehr als Männer. Weitere Geschlechter wurden nicht erfasst, wie auch die Zahlen keine Rückschlüsse über Unterschiede der Aufgabenteilung in verschiedenen Beziehungsformen erlauben. Wie sieht es also aus mit der Care (Sorge), wenn drei oder mehr Menschen einvernehmlich-nichtmonogam zusammenleben? Bedeutet »Liebe zu dritt« auch »Spülen zu dritt«? Oder räumen die beteiligten Frauen einfach mehreren Männern hinterher? Für meine 2019 erschienene Studie »Care in konsensuell-nichtmonogamen Beziehungsnetzwerken« habe in nichtmonogame Sorgearrangements analyisert. Der folgende Text fasst einige zentrale Ergebnisse zusammen. Vorab lässt sich festhalten: Auch in (hetero- und bisexuellen) Poly-Kontexten kümmern sich Frauen stärker um den Haushalt als Männer – trotz einem weit verbreiteten Anspruch auf Geschlechtergerechtigkeit, der aber in unterschiedlichem Maße erfüllt werden kann…“

Der Text aus dem Sammelband Polyfantastisch fasst die wichtigsten Ergebnisse meiner Doktorarbeit zugänglich zusammen.

Raab, Michel. Spülen zu dritt. In: Raab, Michel; Schadler, Cornelia. Polyfantastisch. Nichtmonogamie als emanzipatorische Praxis. Münster (Unrast) 2020, S. 151-161

Michael Raab: Elterliche Care-Arrangements in konsensuell-nichtmonogamen Beziehungsnetzwerken

Raab, Michael. Elterliche Care-Arrangements in konsensuell-nichtmonogamen Beziehungsnetzwerken. In: Peukert, Almut; Teschlade, Julia; Wimbauer, Christine; Motakef, Mona; Holzleithner, Elisabeth (Hrsg.). GENDER-Sonderheft 5. Elternschaft und Familie jenseits von Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit. Opladen (Budrich), S. 156-171

Zusammenfassung: Der Artikel stellt auf der Basis von sieben Interviews aus einem Gesamtsample von 13 Interviews einer qualitativen Studie elterliche Sorge in konsensuell-nichtmonogamen Be-ziehungsnetzwerken dar und fragt, ob die offen gelebte Nichtmonogamie mit Veränderungen in elterlichen Care-Arrangements einhergeht. Er unterscheidet eine Lebensführung mit paarweiser Elternschaft und eine kollektive Elternschaft von mehr als zwei Erwachsenen. Beide Varianten gehen mit un-terschiedlichen Anforderungen einher: Konsensuell-nichtmonogam lebende Elternpaare können auf vielfältige Unterstützung aus ihren Beziehungsnetzwerken zurückgreifen, was von allen Beteiligten positiv bewertet wird. Eltern bleiben dabei ein enger Kern mit Unterstützer_innen, die keine expansiven Rollen einnehmen. Hegemonialen Normen entsprechend übernehmen Mütter mehr Sorgeverantwortung. Kollektive Mehreltern-Konstellationen hingegen können ihre Praxen nicht aus der Selbstverständlichkeit soziokultureller Wissensbestände heraus begründen und sind dazu gezwungen, ihre familiären Bande in unpassende rechtliche Konzepte zu übersetzen. Dadurch entstehen, was auch an mangelnden Rechtsansprüchen der weiteren Bezugspersonen liegt, Dynamiken, die dazu beitragen, dass auch hier die Mütter die Hauptlast der Erziehung tragen.

Schlüsselwörter: Beziehungsnetzwerke, Care, Elternschaft, Geschlechtliche Aufgabenteilung, Konsensuelle Nichtmonogamie, Patchwork-Familien, Polyamory

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Gesa Mayer: „… auch wenn da jetzt nich‘ ihre Gene drinstecken.“ Zur Bedeutung biologischer und sozialer Elternschaft in polyamorer Familienplanung

in: GENDER – Sonderheft 5 | Elternschaft und Familie jenseits von Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit, S. 28-43

Zusammenfassung:  Der Beitrag befasst sich mit subjektiven Bedeutungszuschreibungen an biologisches und/oder soziales Elternwerden. Die diskurstheoretische Analyse qualitativer Interviews mit zwölf Menschen, die erwägen, in heterosexuellen polyamoren Partnerschaften Eltern bzw. Bezugspersonen für Kinder zu werden,
arbeitet zwei Positionen heraus: Familienvisionen, die biologisch-genetische Reproduktion als essentiell für die Ausübung von Elternschaft ansehen, enthalten tendenziell zwei (primäre) Eltern. Interviewte, für die soziale Bindung und Verantwortung nicht in leiblicher Abstammung fußen müssen, sind offener für Familienmodelle mit mehr als zwei Elternteilen. Doch ringen auch diese mit gegenderten Konstrukten einer Überlegenheit biologischer Verwandtschaft, die in Spannung zu polyamoren  Beziehungskonzepten stehen. In den Interviews aufscheinende Ansätze des kritischen Umgangs mit Normativität beinhalten das Vervielfältigen, Verneinen, Kontextualisieren und Resignifizieren von Elternschaft. “… even if they haven’t put their genes in there.” On the meaning of biological and social parenthood in polyamorous family planning.

Schlüsselwörter: Biologische Eltern, Mononormativität, Konsensuelle Nichtmonogamie, Polyamore Elternschaft, Polyamore Familienplanung, Polyamorie, Soziale Eltern

Michel Raab & Cornelia Schadler: Polyfantastisch? Nichtmonogamie als emanzipatorische Praxis

»Wann wird ›She loves you‹ nicht mehr ganz selbstverständlich als ›Sie liebt Dich‹ übersetzt, sondern endlich mal mit ›Sie* liebt euch, yeah, yeah, yeah‹?«

»Bedeutet ›Liebe zu dritt‹ auch ›Spülen zu dritt‹? Oder räumen die beteiligten Frauen einfach mehreren Männern hinterher?«

›Polyamory‹ ist mittlerweile in aller Munde, weil sie eine Befreiung aus traditionellen und einengenden Beziehungs- und Familienformen verspricht. Doch nicht nur individuell, auch gesellschaftlich bilden Liebesbeziehungen und Familien zentrale Lebensbereiche. Hier werden soziale Normen und gesellschaftliche Strukturen aufgegriffen und mehr oder weniger eigensinnig modifiziert. Daher ist Beziehungsführung ein hochpolitisches Thema. Dahinter steht die Frage: Kann eine Veränderung von Liebesverhältnissen den Menschen befreien?

Der breitgefächerte Sammelband lotet unterschiedlichste Möglichkeiten der Emanzipation und Subversion in der Beziehungsführung aus.

Münster (Unrast) 2020
ISBN 978-3-89771-282-9
16,00€, 224 Seiten
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